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Für wen kleide ich mich?

  • Writer: Elle
    Elle
  • Jun 30, 2018
  • 5 min read


Als Frau, aber vor allem als selbst-ernannte Feministin, die Wert auf ihr Äusseres legt, muss ich mir öfters einmal anhören: "Für wen machst du das eigentlich?" Keine absolut irrelevante Frage, auf die ich eine persönliche, natürlich relativ langatmige Antwort habe.


In erster Linie kleide, oder "style", ich mich absolut und vollkommen für mich selbst. Es gibt da eine kleine Einschränkung aber dazu später mehr (man sollte ja nicht direkt mit dem Gegenargument starten...). Ich sehe es so: Wir müssen uns eh was anziehen, warum also nicht etwas, das uns gefällt? Ich glaube ja, dass es ein grundlegendes, menschliches Bedürfnis ist, sich mit ästhetisch ansprechenden Dingen zu umgeben. Für die einen ist das bildende Kunst, für die anderen schnittige Autos, für mich ist es halt eben -- unter anderem -- die Mode. Ich mag Farben, Stoffe und Muster. Ich mag es, dass ein Kleidungsstück mein Grundgefühl beeinflussen kann und die alltäglichsten und langweiligsten Momente im Leben mit Freude erfüllen kann. Der tägliche Weg zur Tram wird für mich beispielsweise zu einer richtigen Freude wenn mir dabei mein bodenlanges Kleid um die Knöchel weht. Der sanfte Stoff auf der Haut beruhigt mich, Glitzer-Applikationen reflektieren das Sonnenlicht, lassen meine Aufmerksamkeit auf Gegenständen ruhen, die ich ansonsten nie bemerkt haben, und sie machen mich auch einfach automatisch glücklich. Glitzer ist Glück, da halte ich es wie die edle Elster.


Vorweg zur bereits angetönten Einschränkung: Ich nehme in einem gewissen Mass Rücksicht auf mein Umfeld. Das heisst zum einen, dass ich mich anders kleide wenn ich als Dozentin an der Uni unterrichte als wenn ich am Wochenende in einen Club zum Tanzen pilgere. Gerade in beruflichen Situationen nutze ich Kleidung gerne ein bisschen wie ein Kostüm -- angepasst auf den Anlass und daher nicht 100% selbstbestimmt. Mich mit Respekt für eine Person oder eine Situation zu kleiden, heisst aber auch, dass ich mich für einen besonderen Anlass richtig in Schale schmeisse, weil ich der Person zeigen möchte, wie viel sie/er oder der Anlass mir bedeutet. Handumkehrt würde ich nie für einen Video-Abend aufgebrezelt erscheinen, weil auch das die Gastgeberin leicht betüpfen könnte.


Beim Schminken ist es ein bisschen anders. Ja, in erster Linie schminke ich mich für mich. Weil ich es gern tue und weil ich mich gerne anschaue, wenn ich geschminkt bin. Aber hier ist es für mich kein so klares entweder/oder. Denn, angenommen ich würde mich wirklich ausschliesslich für mich selbst schminken, so würde das ja bedeuten, dass ich jeweils auch sonntags, wenn ich nicht vor habe das Haus zu verlassen, geschminkt in der Wohnung rumrenne. Das trifft selten zu. Wenn, dann weil ich irgend etwas Neues ausprobieren mag und dann zu faul bin, es mir direkt wieder vom Gesicht zu waschen. Na gut, und manchmal auch, weil ich gerne an einem Spiegel in der Wohnung vorbei gehe und nochmal umkehren muss weil ich mich selbst aus dem Augenwinkel so ganz periphär erspäht habe und denke “wowza, hi cutie!” Da muss ich manchmal wirklich zurück vor den Spiegel und mir selbst hallo sagen. Aber ich schweife ab. Würde ich also in einem sozialen Vakuum leben so würde ich mich vermutlich nicht schminken. Das heisst nun also dass ich mich auch für andere Menschen schminke. Das heisst aber noch lange nicht, dass dies aus uneigennützigen Absichten geschieht. Ich schminke mich nicht um anderen Menschen einen Gefallen zu tun, sodass sie sich mich anschauen können und Freude daran haben.


Nein, viel eher kann ich das Ganze mit dem Tierreich oder noch besser, der Pflanzenwelt beschreiben: Fleischfressende Pflanzen riechen doch super lecker, zumindest für die Insekten, welche sie anziehen möchten. Sie haben ausgefallene Farben und Muster, sie entsprechen definitiv nicht einem “Standard” in der Pflanzenwelt. Wieso aber sehen fleischfressende Pflanzen so aus? Sicher nicht um dem Rest der Pflanzenwelt eine Freude zu machen. Nein, sie wollen Insekten anlocken sodass sie sie fressen können. Nicht ganz so extrem aber vom Grundgedanken her ähnlich verhält es sich mit mir und der Schminke und öfters auch mal mit der Mode. Ich schminke mich um in anderen Menschen einen bestimmten Effekt auszulösen. Das kann ganz harmlos sein wie: Augenringe abdecken und bei der Präsentation ausgeschlafen, fit und damit kompetent zu wirken. Es kann aber auch so weit gehen, dass ich damit Männer anlocken will, denen genau diese Version einer Frau gefällt, die ich in dem Moment gerade darstelle.


Was heisst das nun wenn ich sage, dass ich mich unter anderem auch für Männer schminke? Was es garantiert nicht heisst: Ich schminke mich für einen Mann. Das meine ich so: Ich stimme meinen Stil garantiert nie mehr darauf ab, wen ich momentan gerade toll finde. Das letzte Mal habe ich das -- tragischerweise -- im Teenie-Alter gemacht: Nie mehr wieder. Ich schminke mich also nicht um in das idealtypische Bild eines bestimmten Mannes zu passen. Wer findet, ich schminke mich grüüsig, dem sei diese Meinung absolut erlaubt, mir Wurscht.


Ich schminke mich jedoch für Männer, plural, als Spezies.


Damit meine ich, dass ich gerne einen gewissen Effekt auf Männer ausübe. Nicht jeden Tag im gleichen Masse aber so grundsätzlich halt schon. Als Single-Frau mag ich es zu wissen wie ich in etwa aufs andere Geschlecht wirke. Bediene ich mich dabei öfters geschlechterspezifischer Schönheits-"Ideale"? Leider ja. Rote Lippen signalisieren eben auch für mich, die ich in unserer Gesellschaft sozialisiert wurde, Weiblichkeit, Stärke, Sinnlichkeit. Entziehen kann auch ich mich den bei uns gängigen Beauty-Standards nur beschränkt.


Für mich hat der Gebrauch eben dieser Symbole in gewissem Masse aber auch mit Macht zu tun. Ja, vielleicht ist meine Schminke an einem bestimmten Tag eine Maske. Vielleicht sehe ich um einiges selbstbewusster und gefährlicher aus, als ich das in Wirklichkeit bin. Das mag Betrug sein, nicht mehr viel mit Authentizität zu tun haben, aber es dient auch einfach dem Zweck eine bestimmte Version von mir darzustellen, die dann wiederum nur eine bestimmte Art Mann anlockt. Das Ziel ist hier nicht jeden Tag dasselbe, aber grundsätzlich gilt: Ich gehe bewusst durch die Welt und bin mir gerne meines Effekts auf andere im Klaren. Was natürlich noch lange nicht heisst, dass ich immer den gewünschten Effekt erlange. Wenn ich jedoch geschminkt in den Ausgang gehe dann möchte ich bestimmt nicht mit dem selben Typ Mann in Kontakt treten, der auf mein ungeschminktes Ich in der Bibliothek zugehen würde(um die Stereotype mal so richtig auszupacken).


Zudem ein weiterer positiver Effekt beim Schminken: Ich schaue mich fast täglich im Spiegel an und versuche Dinge an mir hervorzuheben. Das heisst ich finde Dinge an mir schön! Das ist doch auch mal eine geniale Entdeckung!


Zu guter Letzt: Was mich immer wieder über die Menschheit rätseln lässt: Menschen die mich, geschminkt, anschauen und dann meinen: Du bist ja oberflächlich. Ich glaube die Definition von “oberflächlich” ist laut Duden, jemanden oder etwas aufgrund von offensichtlichen Merkmalen zu beurteilen. Ich glaube, wenn du auf meinen Charakter schliesst, basierend darauf wie viel Farbe ich auf mein Gesicht gekleistert habe, dann ist es ziemlich eindeutig wer von uns beiden oberflächlich ist. Tipp: Ich bins nicht.

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