Männer und die Werbung
- Elle
- Jan 22, 2019
- 5 min read

Gilette hat ein neues Werbevideo: "We Believe: The Best Men Can Be". Es ist die aktuellste Version in einer bereits über ein Jahrzehnt dauernden Kampagne mit dem Slogan "The Best a Man Can Get". Und es hat Kontroversen ausgelöst.
Ich glaube man kann sich darüber streiten ob Werbung politisch sein muss und ebenso darüber ob solche Kampagnen für die dahinterstehenden Unternehmen nützlich sind. Zu letzteren kann und will ich mich hier nicht äussern (weil: keine Ahnung und interessiert mich auch nicht so mega). Was mich am meisten interessiert ist die inhaltliche Thematik des Videos darum dazu weiter unten bedeutend mehr. Zuerst aber ein kurzer Kommentar zu "soll Werbung politisch sein?"
Meine Antwort: Ist sie so oder so immer!
Mir scheint es leicht naiv zu denken, dass diese Gillette Kampagne die erste Werbung sei, die uns sagt, was es heisst ein “richtiger” Mann zu sein. Werbung gibt uns schon lange vor, was es braucht um ein erfolgreicher Mann, eine erfolgreiche Frau zu sein: seit Werbende realisiert haben dass die Gender-Identität ein wichtiger Faktor im Leben vieler Menschen ist und sie sich daher unglaublich gut kommodifizieren lässt. Produkte die dabei helfen, der perfekte Mann/die Perfekte Frau zu sein, verkaufen sich gut.
Was heisst es aber, ein "guter" Mann/ eine "gute" Frau zu sein? Entscheiden wir das nicht alle selbst? Nicht nur, nein. Wir werden zu einem grossen Teil von den Medien sozialisiert und dazu gehört auch die Werbung. Das heisst, dass unser Eindruck davon, was es heisst Frau oder Mann zu sein -- oder wieso einige unter uns glauben, dass es nur diese zwei Optionen auf dem Gender-Spektrum gibt -- nicht nur von unserem persönlichen Umfeld geprägt wird sondern mindestens ebenso stark von den Medien, welche wir konsumieren.
Über Dekaden hinweg wurde in der Werbung eine Männlichkeit propagiert, die -- hauptsächlich -- auf archaischen, traditionellen Ideen über die Männlichkeit basiert. Denkt nur an Werbungen für Bier oder Autos, zum Beispiel. Diese Produkte werben hauptsächlich Männer an und diese Männer müssen physisch stark sein, und am besten heterosexuell und natürlich an schönen Frauen interessiert.
Hier zwei Beispiele dazu, wer Männer laut Werbung sind.
Männer sind im Haushalt hilflos und bleiben Buben, egal wie alt sie werden:
Männer haben sich seit der Zeit als Jäger und Sammler kaum weiterentwickelt. Und Männer und Frauen sind ja soo verschieden (Bilogical Determinism)...
Nun mögen wir sagen, dass wir doch klug genug sind um solche Bilder in der Werbung als überspitzt zu entlarven und nicht einfach zu glauben, was uns die Werbung zeigt. Aber so einfach ist das nicht. Zum einen nur schon weil heutzutage sexistische oder anderweitig grenzwertige Inhalte mithilfe von Ironie "verkleidet" werden: Es werden weiterhin unangebrachte Aussagen gemacht darüber, wer Männer und Frauen sind, aber man macht es mit einem Augenzwinkern denn so ist man als Werbemacher vor Kritik geschützt. Zwei Probleme: Ironie ist echt nicht für alle und nicht immer so easy zu erkennen. Und zudem macht die Ironie nicht wett, dass uns gezeigt wird, dass wir ja alle von diesen Stereotypen wissen! Wir können nur mitlachen, sind "in on the joke", wenn wir diese überspitzten Stereotypen zwar nicht umbedingt gut finden, aber dennoch denken "jaja, die Männer"... Think about it! Und hier ein glorreiches Beispiel:
Man cannot think about anything but hot girls, women are nags, men are overwhelmed with parently duties, oh this one just takes the cake <3 and it also uses irony so, hey, we are not serious, right? ;-)
Wenn wir konstant mit Bildern bombardiert werden, die eine gewisse Art der Männlichkeit propagieren, so wird es immer schwieriger für uns, diese Bilder kritisch zu hinterfragen. Denn leider reicht nur schon das ständige Sehen dieser Verhaltensweisen damit wir sie als “Normalzustand” wahrnehmen, auch wenn wir sie nicht als gut empfinden. Ich weiss zwar, dass die Männer in meinem Umfeld zum grössten Teil nicht diesen Stereotypen entsprechen, empfinde sie so aber mehr und mehr als Ausnahmen.
Das sieht man nur schon daran, dass uns allen spontan Adjektive einfallen, die besser zu Frauen oder Männern passen. Es gibt Verbindungen, die passieren bei uns mittlerweile automatisch. Wenn mir jemand von einem "CEO" erzählt, so stelle ich mir automatisch einen Mann vor, obwohl ich genau weiss dass Frauen genauso gut geeignet sind, CEOs zu sein.
Ich finde es deshalb wichtig, dass wir vermehrt Werbung sehen, die eben genau diese Standards hinterfragen.
In Verbindung mit Männlichkeit ist das nun einfach ziemlich neu und wird in dieser Gillette Werbung sehr radikal umgesetzt.
Das Gillette Video ist aber, wie gesagt, bei weitem nicht die erste Werbung, die Männern sagen will was es heisst ein guter Mann zu sein. Der einzige Unterschied zu “herkömmlichen” Werbungen ist, dass die Männlichkeit als hochkomplex dargestellt wird und das ohne Ironie.
Über lange Zeit wurden ideale Männer in der Werbung als unabhängig, physisch stark und heterosexuell mit einem Faible für schöne Frauen propagiert. Neu müssen Männer aber auch einfühlsam und kommunikativ sein. Sie müssen auf ihr Aussehen achten, aber ja nicht zu stark.
Heutzutage ist es nicht mehr ganz klar, was es bedeutet “Mann” zu sein.
Männer mussten sich in den letzten Jahren zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte Gedanken machen darüber, was es denn überhaupt bedeutet ein Mann zu sein. Frauen, aber auch Individuen mit anderen Geschlechteridentitäten, haben sich das schon immer gefragt, denn ihre Rolle in der Gesellschaft war für lange Zeit minderwertig. Frauen haben sich darum schon lange mit ihrer Geschlechtsidentität auseinandergesetzt. Bei Männern hat dieser Prozess lange auf sich warten lassen, weil es nie eine Rolle spielte, was es bedeutet Mann zu sein. Mann sein hat zum Beispiel nie jemanden am Wählen gehindert.
Man identifiziert sich immer am stärksten mit dem Aspekt der eigenen Identität der gerade unter Beschuss steht. Wenn ich am Arbeitsplatz kritisiert werde weil ich mein Methodenkapitel nicht klar genug beschrieben habe, so fühle ich mich als Wissenschaftlerin minderwertig, nicht als Frau und nicht als ältere Schwester (alles auch Teile meiner Identität). Wenn mir aber auf der Strasse ein Typ nachpfeift so werde ich mir sehr stark über mein Frau-sein bewusst. Als Frauen kennen wir unzählige Situationen in denen unser "Frau-Sein" unter Beschuss stand.
Mann zu sein war jedoch lange Zeit in vielen Lebensaspekten unsichtbar. Heute aber müssen sich Männer auch immer öfter für ihr Geschlecht rechtfertigen. Männer sollen Familienoberhäupter und im Beruf erfolgreich sein, Männer müssen stark sein aber gleichzeitig Gefühle zeigen können. Es ist bestimmt positiv, dass wir uns von einer schwarz-weiss Definition des Mann-seins entfernen und den Mann, wie bereits die Frau, als komplexeres Wesen sehen, dem es schwer fällt, seinen Platz in der Welt zu finden. Für mich zeigt das diese Gillette Werbung gut auf: Es besteht Unsicherheit und man fühlt sich als Mann angegriffen was dazu führt, dass man sich fragen muss wofür man als Mann denn eigentlich steht.
Das ist nun in kürzester Zeit immer dringlicher geworden, beispielsweise mit den vermehrten Vorwürfen wegen sexualisierter Gewalt an Frauen. In diesen Fällen sind Männer jeweils die Schuldigen, aber es ist natürlich klar dass bei weitem nicht alle Männer so sind. Weil wir aber diese Art von, linde gesagt, rüpelhaften Verhalten in unserer Gesellschaft als “halt männlich” abgetan haben, steht nun nicht nur das Verhalten unter Beschuss sondern eben auch die Männlichkeit aus der das Verhalten angeblich hervorgeht. Nun müssen sich Männer, die mit solchem Verhalten nichts zu tun haben eben nicht nur vom Verhalten distanzieren, das sie ja gar nicht ausüben, sondern auch von dieser Art der Männlichkeit. > weil sie ja Männer und der Angriff auf die Männlichkeit abzielt, fühlen sie sich betroffen.
Zudem zeigt die Gillette Werbung aber auch, dass es nicht reicht sich als Mann in solchen Momenten richtig zu verhalten, sondern dass Männer auch aktiv daran mitarbeiten müssen, dass in unserer Gesellschaft solche negativen Verhaltensmuster nicht mehr in direkte Verbindung mit Männlichkeit gebracht werden. Das sind Charakterschwächen, die von Individuen ausgehen und das müssen wir dringend auch unseren Kindern beibringen.




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