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Jane Birkin, "La Femme et le TGV"

  • Writer: Elle
    Elle
  • Aug 7, 2016
  • 4 min read

Updated: Aug 27, 2018

«L’amour physique est sans issue», die körperliche Liebe ist aussichtslos, hauchte Jane Birkin in ihrem skandalösen Hitsong «Je T’aime moi non plus» – von und mit Serge Gainsbourg – im Jahr 1969. Es sind 47 Jahre vergangen, doch die zurückhaltende, charmant zerzauste Dame, die mir im Locarner Hotel Belvedere gegenüber sitzt hat diese zauberhaft rauchige Stimme bis heute nicht verloren. Zwar ist die 69-jährige geplagt von einer frisch gebrochenen Rippe und einer angeschlagenen Stimme, aber man hängt ihr nicht weniger an den Lippen als damals.

Frau Birkin ist für die Weltpremiere ihres neuen Films «La Femme et le TGV» hier in Locarno; Einem Schweizer Kurzfilm des Jungregisseurs Timo Von Gunten. Der Film zeigt den Stellenwert der Fantasie im Leben wunderschön auf. Die Protagonistin, Elise (gespielt von Birkin) führt einen regen Briefverkehr mit dem Lokführer des TGV, Bruno, der täglich an ihrem Haus vorbei fährt. Der Briefwechsel lässt Elise regelrecht aufblühen, gesehen hat sie den Herrn aber noch nie. Die Freundschaft existiert nicht im Hier und Jetzt. Bruno wird für sie erst lebendig, wenn sie seine Briefe liest, also gewissermassen in ihrer Fantasie.


Elise erinnert mich ein wenig an Frau Birkin, die auch nicht nur im Hier und Jetzt zu leben scheint. Sie singt noch heute leidenschaftlich die Lieder ihres ehemaligen Partners Serge Gainsbourg, spricht oft über ihn. Mit dem 1991 verstorbenen Sänger blieb Birkin auch nach Ende ihrer Beziehung eng befreundet. Sein Tod erschütterte sie zutiefst, sie trennte sich von ihrem damaligen Partner und lebt seither allein. Ihr scheint die Erinnerung an die Zeit mit Gainsbourg genug zu sein. Ich frage Frau Birkin, ob für sie die Erinnerungen einen hohen Wert haben. Ob sie glaube, dass es nicht immer nur das Hier und Jetzt ist, das zählt. Sie schaut mich nachdenklich an, dann - wie so oft - in die Ferne. Sie sei nicht sicher, ob sie wisse was ich meine. Sie glaube an Geister, manchmal, sagt sie. Nach einigen Sätzen lässt sie die Frage behutsam fallen, schaut mich aber während des gesamten Gesprächs immer wieder nachdenklich an. Ja, es mag daran liegen, dass ich ihr direkt gegenüber sitze. Aber vor meiner Frage hat ihr Blick auch auf mir immer nur kurz verweilt.


Ich glaube, irgendwie hat sie meine Frage doch verstanden, kann ihre Antwort aber nicht in Worte fassen. Vielleicht wünsche ich mir nur, dass sie mich versteht, aber kurze Zeit später erzählt sie, dass sie oft in der Vergangenheit lebe und bestätigt mich in meiner Annahme. Die Lieder, mit denen sie heute auftritt, habe Gainsbourg vor langer Zeit für sie geschrieben. Sie beginnt von Songs zu erzählen, die ihr besonders viel bedeuten («Fuir le Bonheur De Peur Qu’il ne Se Sauve»). Und nun, seit sie von Gainsbourg spricht, blüht sie auf, die gebrochene Rippe ist ihr nicht mehr anzumerken. Die Lieder seien ihr so nahe, und geben ihr Trost, erzählt sie. Sie beginnt zu kichern, wenn sie in ihren Erinnerungen schwelgt. Auf Fragen, die sie mit wenigen Sätzen beantworten könnte, erzählt sie ganze Geschichten. So beginnt sie auch vom Konzert 1987 im Bataclan in Paris zu erzählen. Sie erwähnt, wie sie erstmals ohne Make-up und mit kurz geschnittenen Haaren auf die Bühne ging, und wie sie wollte, dass die Zuhörer nicht sie anschauen, sondern den Fokus auf die Musik lenken.

Für eine Frau, die als eine der einflussreichsten Stil-Ikonen ihrer Zeit gilt, scheint ihr äusserst unwohl zu sein, beim Gedanken, dass die Welt sie so genau beobachtet. Ihre eigenen Filme schaut sie sich auch darum nicht an, weil sie behauptet sie sei nicht mutig genug, sich selbst auf dem Bildschirm anzusehen: «I don’t like seeing that face. I don’t think I like that face anymore». Sie wird wieder nachdenklich. Sie mache Filme weil sie das Schauspielern mag, sie mag sich nicht selbst sehen, schleiche sich darum auch lieber aus Premieren raus.


Als ich sie frage ob für sie ein Film abgeschlossen sei, wenn sie ihren Teil dazu beigetragen hat, oder ob ihr die Reaktionen des Publikums wichtig seien antwortet sie ja, absolut und strahlt; ihre schmale Zahnlücke deutlich sichtbar. Sie freue es sehr, wenn ihre Filme die Leute berühren. «That’s lovely. Lovely, lovely», sagt sie träumerisch. Und dann ernst: «It matters»; es ist das, was zählt. Als ich ihr daraufhin sage, der neue Film habe mich sehr berührt schaut sie mich ehrlich erstaunt an und sagt erfreut: „Ah oui, c’est vrai?“.


Die Konversation kreist unweigerlich wieder zurück zu Gainsbourg. Angesprochen auf die dramatischen öffentlichen Streitereien der beiden lacht sie. Warum sie ihm beispielsweise einmal im Restaurant eine Torte ins Gesicht geworfen und sich anschliessend in die Seine gestürzt habe? Sie antwortet kichernd «why not? » Und als sie gefragt wird, ob der Grund für diese dramatischen Aktionen die Leidenschaft in der Beziehung gewesen sei, antwortet sie ohne zu zögern: «Ich glaube der Grund war, dass ich sehr betrunken war».

Jane Birkin: Charmant und zurückhaltend und gleichzeitig witzig und frech; und vor allem –trotz ihres klaren britischen Akzents – so französisch.


«L’amour physique est sans issue» ; wer weiss. Aber für mich ist nach diesem Gespräch klar: Sowohl für Elise als auch für Jane Birkin hat neben dem Physischen auch die Fantasie, die Erinnerung einen hohen Stellenwert. Solange man im Hier und Jetzt verankert ist schadet ein bisschen Träumen wohl nie. Auch nicht davon, dass Jane Birkin ein bisschen abfärbt und ich nach diesem Treffen vielleicht doch mit ein bisschen mehr «je ne sais quoi» durchs Leben gehe. Sie zumindest besitzt davon genug um uns allen eine Tranche abzugeben.



Dieser Beitrag wurde erstmals im August 2016 auf annabelle.ch veröffentlicht.


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